Futter ist toll!

Der Kynos Verlag veröffentlichte kürzlich das neueste Werk von Marc Bekoff in deutscher Sprache: „Feldstudien auf der Hundewiese“ (Titel der Amerikanischen Originalausgabe „Canine Confidential).

Marc Bekoff ist emeritierter Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der Universität Boulder/Colorado, USA. Er hat bisher unzählige Bücher und Artikel veröffentlicht, in denen er sog. harte und weiche Wissenschaft vernetzt und dabei durchaus auch Geschichten und Anekdoten von Nichtwissenschaftlern in seine Argumentationen mit einbezieht. Das war vor einigen Jahren schon eine kleine Sensation. Er engagiert sich u.a. gemeinsam mit Jane Goodall in verschiedenen Projekten für ein besseres Miteinander von Menschen und anderen Tieren.

Mein absolutes Lieblingsbuch von ihm ist „Das Gefühlsleben der Tiere“, erschienen 2008 im animal Learn Verlag.

Seine Bücher und Texte „verlieren“ leider etwas an Strahlkraft in ihren deutschen Fassungen.

Für diejenigen unter Euch, die seine Arbeiten noch nicht kennen, haben wir folgenden Artikel übersetzt:

Originaltext von Marc Bekoff PH.D. veröffentlicht in Psychology Today / Animal Emotions / Do animals think and feel am 31. Dezember 2016

https://www.psychologytoday.com/intl/blog/animal-emotions/201612/training-dogs-food-is-fine-and-your-dog-will-still-love-you

Mit freundlicher Genehmigung von Marc Bekoff frei übersetzt von Chiara Esser / Lektorat Iris Esser

Hundetraining: Futter ist toll und Dein Hund wird Dich weiterhin lieben!

[…]

Wollen Hunde gefallen?

Mich hat es schon immer überrascht, wahrscheinlich eher schockiert, dass es Menschen gibt, die Futterbelohnungen im Hundetraining ablehnen, da sie glauben, dass diese der Beziehung schaden und der Hund sie dann weniger lieben würde.

Die Hundetrainerin und Journalistin Tracy Krulik hat sich in ihrem aktuellen Artikel „Eager to please“ über Futter im Hundetraining und den „will to  please“ Gedanken gemacht […]

Ich selbst lebte mit mehreren Hunden in den Bergen, außerhalb von Boulder/Colorado. Wenn ich zu Hause war durften die Hunde frei herumlaufen. Unzählige freilaufende Hunde habe ich in Hundeparks und auf unterschiedlichen Wanderungen beobachtet. Ich beobachtete den Einsatz von Futter ohne die Spur von fehlender Zugehörigkeit oder – ich würde sogar sagen – Liebe zu ihren Menschen.

Einer meiner Hunde, Jethro, wusste, dass er ein Leckerchen bekam, sobald meine Hand in meine rechte Tasche wanderte. Bei der kleinsten Bewegung in diese Richtung kam er zu mir. Es war überlebenswichtig, dass Jethro sofort ohne eine Wort oder Geräusch zu mir kam, da in unserer Nachbarschaft Pumas, Schwarzbären und Kojoten lebten. Ich wollte verhindern, dass die anderen Tiere ebenfalls angelockt wurden. Liebte Jethro mich? Das tat er, da bin ich mir sicher. Nutze er mich aus, um Futter zu bekommen? Keinesfalls! Jethro kam auch ohne Leckerli, wenn es möglich war, ihn mit  „Komm!“, „Los geht´s, wir müssen weiter!“ oder einfach „J!“ zu rufen.

Meine Nachbarin hinterfragte ebenfalls die Verwendung von Futter im Training meiner Hunde. Sie würde das in etwa so ausdrücken: „Jethro nutzt Dich aus und liebt Dich nicht wirklich!“ In dieser gefährlichen Gegend  war es lebensnotwendig, dass Hunde auf ein Zeichen hin zuverlässig zurückkommen. Maya, der Hund meiner Nachbarin, war sprichwörtlich eine tickende Zeitbombe, die selten auf ihren Menschen hörte. Sie kam allerdings zu mir…für Futter und eine Umarmung. Maya wusste auch, was es bedeutete, wenn meine rechte Hand in meiner Tasche verschwand. In ungefährlichen Situationen, in denen man sie rufen konnte, kehrte sie ebenso wie Jethro zurück. Jethro, Maya und eine ganze Reihe anderer Hunde waren allesamt wundervolle liebende Lebewesen, die kein Futter brauchten, um ihre Zuneigung mir oder anderen  gegenüber auszudrücken.

[…]

Als ich um eine Stellungnahme zu Ms. Krulik´s Artikel gebeten wurde, nutzte ich diese Gelegenheit, um der Frage nachzugehen, ob Hunde gefallen wollen (Anmerkung des Übersetzers: der Begriff „will to please“ wird im Originaltext nicht verwendet und findet daher auch in der weiteren deutschen Übersetzung keine Anwendung) und, ob es in Ordnung sei, Futter im Hundetraining einzusetzen oder nicht. Sie erklärte sich zu einem Interview bereit und beantwortete mir freundlicherweise ein paar Fragen:

Warum schrieben Sie „Eager to please“? Würden Sie den Lesern die Hintergründe erklären?

Als ich Emma adoptierte, lebte ich in einer Stadt, in der die meisten Hunde mit aversiven Mitteln, wie Stachel-, Würge oder Schockhalsbändern trainiert wurden. Der Anblick von Trainern, die fast an jeder Straßenecke „unerwünschtes Verhalten“ durch Rucken an der langen Leine „korrigierten“ war für mich alltäglich. Das Stachelhalsband drückte dabei tief in den Hals des Hundes.

Parallel fiel mir auf, dass unser Weg, mit Futter zu arbeiten, für Emma genau richtig war und ihr half, ihre Ängste zu überwinden. Diese dramatische Diskrepanz spornte mich an, so viel wie möglich über positive und effektive Methoden in Ausbildung und Haltung von Hunden zu lernen, um Emma zu einem glücklichen, gesunden Leben zu verhelfen. Durch meine Veröffentlichungen könnte ich gleichzeitig auch anderen Hunden helfen. Dieser Artikel ist tatsächlich die Krönung meiner mehr als zweijährigen Entdeckungsreise.

Können Sie sich vorstellen, warum manche Menschen nach wie vor denken, dass Futter nichts in der Hundeerziehung zu suchen hat?

Ich denke, dafür gibt es eine Fülle verschiedener Gründe. Manchmal ist es vielleicht zu aufwändig, Futter bereitzuhalten. Ich glaube, dass es häufiger mit der Einstellung der einzelnen Person zusammenhängt. Manche Menschen wünschen sich die „bedingungslose Liebe“ ihres Hundes und glauben, dass „er Dinge nicht aus Liebe zu ihnen tut“, wenn sie ihn immer „bestechen“. Oder es geht um Respekt. Manche erwarten, dass sich ihr Hund ebenso wie ihre Kinder anständig benimmt und sie ihn nicht für höfliches Verhalten bestechen sollten.   

Was meinen Sie, warum manche Menschen – hoffentlich immer weniger – denken, dass Dominanz der Schlüssel zum Erfolg ist?

Tatsächlich wird das Wort „Dominanz“ häufig als Beschreibung für Hundeverhalten missbraucht *1. Es scheint ein Sammelbegriff für jegliches unerwünschtes Verhalten von Hunden zu sein. Zieht ein Husky an der Leine „ist er so dominant“ (Anmerkung des Übersetzers:  im Originaltext spricht Tracy Krulik von einer Hündin). Springt ein deutscher Schäferhund Besucher an „ist er schon wieder dominant“. Anfang des Jahres beobachtete ich im Warteraum einer Tierarztpraxis einen Pointer der zunehmend gestresster wurde. Als ein Aussie ihr zu nahe kam, knurrte  und schnappte sie nach dem Aussie, um ihn auf Abstand zu bringen. Der Besitzer des Pointers entschuldigte sich für ihr Verhalten, während er ihr auf den Kopf schlug. „Tut mir wirklich leid, sie ist so dominant“ […]

Also…ich weiß nicht, ob es weniger werden. Es gibt immer noch sehr populäre TV Shows und YouTube Videos, die das Dominanzmantra immer wieder herunterbeten. Viele, viele, viele Hundetrainer missbrauchen weiterhin den Begriff und, offen gesagt, verbreiten viele Tierärzte das nach wie vor, weil es so gelehrt wurde. […]Die traurige Wahrheit ist, dass Menschen, die denken, dass ihr Hund „dominant“ sei, sich veranlasst sehen, ihm eine Lektion zu erteilen und in seine Schranken zu weisen – wie der Pointer, der geschlagen wurde. Dieser arme Kerl war durch das Umfeld verängstigt und wird nun auch noch von seinem Besitzer geschlagen. Es ist herzzerreißend. Glücklicherweise haben sich Organisationen, wie die AVSAB American Veterinary Society of Animal Behavior https://avsab.org/ gegen Dominanz im Training ausgesprochen. Die Diskussion geht zumindest in die richtige Richtung.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Artikel?

Ich hoffe, dass er Menschen zum Nachdenken anregt sowie Menschen, die mit Futter arbeiten, das Selbstvertrauen gibt, weiterzumachen, selbst wenn Freunde, Familie oder Nachbarn das anders sehen. Das ist doch verrückt! […] Wir müssen uns in unserer Gesellschaft schon verteidigen, wenn wir freundlich zu unseren Welpen sind. Ein High School Freund schrieb mir tatsächlich diesen Kommentar auf Facebook, nachdem er meinen Artikel gelesen hatte: „Wir haben [unserem Welpen] mit Futter beigebracht Sitz zu machen, draußen zu pinkeln, nicht mehr zu beißen etc. und uns wurde damals schon erklärt, dass wir ihn (Anmerkung des Übersetzers: im Originaltext ist eine Hündin gemeint) verwöhnen. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir das Richtige tun, aber Dein Artikel hat mich definitiv beruhigt!“ Mission erfüllt.:) 

Wie gehen Menschen damit um, wenn sie erfahren, dass es sich um „Belohnung“ handelt, wenn man Futter im Training einsetzt […] und, dass ein Hund sie deswegen nicht weniger liebt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen es einem nicht abkaufen, wenn man es nur sagt. Sie müssen es selbst erleben. Sie beginnen, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen, nachdem ich mit einem Hund eine Weile gearbeitet habe. Die Besitzer erkennen, wie sehr sich ihre Beziehung durch die Verwendung von Futter, im Gegensatz zu Schimpfen und Strafen, verbessert hat. […] Diese Vorstellung, Hunde seien dominant und man müsse ihnen eine Lektion erteilen, ist seit Generationen tief verankert. Es ist meistens kein simples „Aha!“

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Ich habe mein freiberufliches Schreiben etwas zurückgestellt. […] Momentan konzentriere ich mich darauf, […] eine globale Kampagne und Website  – iSpeakDog – http://www.ispeakdog.org zu erstellen. Sie soll Menschen Informationen über Körpersprache und Verhalten vermitteln und helfen, ihre Hunde besser zu verstehen. Ich arbeite mit der Academy for Dog Trainers (dort beginne ich mein zweites Studienjahr https://academyfordogtrainers.com/ ), der Pet Professional Guild  http://www.petprofessionalguild.com/ , der Human Rescue Alliance http://www.humanerescuealliance.org/ und dem Bark Magazine https://thebark.com zusammen. Wir veröffentlichen sowohl die Website als auch die „iSpeakDog Week“ http://www.ispeakdog.org/ispeakdog-week am 27. März 2017. Wir hoffen, dass das Wissen, warum Hunde solche Dinge, wie Kauen, Buddeln und Bellen tun sowie die Fähigkeit,  Emotionen in ihrer Körpersprache lesen zu können, die gemeinsame Bindung stärkt und die Menschen sich schlussendlich besser um ihre Hunde kümmern können.

Hin- und hergerissen zwischen Futter oder Liebe? Das ist einfach lächerlich  […]

Vielen Dank, Tracy, dass Du zu diesem Interview bereit warst. […] Wie bereits erwähnt „[…]es gibt keinerlei Forschungsergebnisse, die das beweisen.

Die Hundetrainerin Kimberly Beck, Gründerin von „TheCanineEffekt“ http://www.thecanineeffect.org/ vertritt eindeutig den Standpunkt, dass es bei allen Interaktionen mit Hunden (und anderen Tieren) immer um Beziehungen geht. […] Futter kann zur Entwicklung und Erhaltung einer starken wechselseitigen Mensch-Hund-Beziehung, ohne jegliche Beeinträchtigung ihrer Liebe, beitragen. Futter mit dem Mangel an Liebe in Verbindung zu bringen gehört in die Welt der Märchen, ebenso wie Hunde keine Dominanz zeigen (*1), keine Schuld fühlen (*2) und wir nie einen Hund umarmen sollten (lesen Sie bitte auch https://www.psychologytoday.com/intl/blog/animal-emotions/201604/hugging-dog-is-just-fine-when-done-great-care). Einen Hund zu umarmen ist völlig in Ordnung, wenn er die Spielregeln festlegt und nicht wir.

Tracys Erfahrungen mit Emma spiegeln meine eigenen mit Jethro, Maya und vielen anderen Hunden wieder – sie waren nicht berechnend, weil sie Futter bekamen. Sie liebten oder lieben uns nicht weniger. Wenn Futter funktioniert, sollte man damit arbeiten. Es ist an der Zeit, die Ansichten, Hunde würden uns nur für Futter instrumentalisieren und ansonsten auf uns pfeifen über Bord zu werfen. Manche machen es vielleicht tatsächlich. Ich denke, diese Einzelfälle rechtfertigen nicht, daraus die Regel abzuleiten, kein Futter einzusetzen, weil der Hund uns dann nicht mehr wirklich lieben würde…lächerlich.

Ein guter Vorsatz für das Neue Jahr: Erziehe Deinen Hund mit Futter, wenn es funktioniert.

Anmerkungen

* 1 In Bezug auf das „D“ Wort, Dominanz. Ich stimme Ms. Krulik zu, dass das Wort „Dominanz“ fehlinterpretiert und missbraucht wird. Hunde (ebenso wie unzählige andere Tiere) zeigen Dominanz. Im Training oder in der Entwicklung eines harmonischen Miteinanders hat Dominaz nichts zu suchen. Weiterführende Informationen entnehmen Sie bitte untenstehenden Links:

Dogs, Dominance, Breeding, and Legislation: A Mixed Bag

Dogs Display Dominance: Deniers Offer No Credible Debate

Dogs, Dominance, and Guilt: We’ve Got to Get Things Right

Social Dominance Is Not a Myth

Dominance and Pseudoscience: Making Sense of Nonsense

Dogs, Dumbness, and Dominance, Redux

**2 Ms. Krulik schreibt ebenfalls etwas über das „G“ Wort, Schuld. […] Wir wissen immer noch nicht, ob, Hunde sich schuldig fühlen.

Weiterführende Informationen entnehmen Sie bitte folgenden Links:

Do Dogs Really Feel Guilt or Shame? We Really Don’t Know

Dogs, Dominance, and Guilt: We’ve Got to Get Things Right