Der Kopf ist der Boss – der Faktor „Mensch“ in Training und Ausbildung
Vergangene Woche liefen eine Freundin und ich während eines Spaziergangs zufällig in das Training einer Hundeschule hinein. Ein junger Dackel an kurzer Leine passierte auf einem Waldweg an den anderen Mensch-Hund-Teams des Kurses vorbei. Viele der auf beiden Seiten wartenden Hunde waren mit Maulkorb, teilweise zusätzlich mit Halti ausgestattet. Von weitem konnte ich einen Besitzer erkennen, der über seinen auf dem Rücken liegenden Hund gebeugt war. Als wir an den beiden vorbeigingen, saß der Hund bereits wieder. Auch er war mit Maulkorb und Halti ausgestattet. Mein neugieriger Blick wurde von dem Besitzer mit „alles in Ordnung“ kommentiert. Durch diese Aussage dachte ich überhaupt erst darüber nach, dass er den Hund vielleicht sogar selbst auf den Rücken gedreht haben könnte. Die zahllosen Mensch-Hund Teams, an denen wir vorbeigingen forderten ihre Hunde mit „Nein“ zu ruhigem Verhalten auf.
Meine Freundin hat keine Haustiere. Wir beide haben unzählige andere gemeinsame Gesprächsthemen. Die Ausbildung von Hunden gehört nicht dazu. Sie fragte mich im Anschluss völlig schockiert, ob denn solch ein Training überhaupt zielführend bzw. erlaubt sei. Die Hunde fühlten sich ja offensichtlich sehr unwohl. Sie nahm etwas wahr, was von den Hundehaltern offensichtlich akzeptiert oder aber gar nicht erst registriert wurde.
Die Frage wäre schnell beantwortet. Bisher haben allerdings weder Tierschutzgesetze noch Trainerzertifizierungen aversive Methoden auslöschen können. Warum haben diese Hundeschulen dennoch nach wie vor so viel Zulauf? Warum machen so viele Menschen heute überhaupt noch ein derartiges Training mit? Warum setzt sich „positives Training“ so langsam durch?
Ich denke, es ist längst überfällig, dass wir „positiven“ Trainer uns ausführlicher mit unseren menschlichen Kunden beschäftigen müssen. Viele von Euch können garantiert nachempfinden, was es mich gekostet hat, meiner Wut in dieser Situation nicht nachzugeben und mich stattdessen mit diesem Artikel mit dem Thema auseinanderzusetzten!
Der Mensch ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben seines Haustieres, aber im Kopf von uns Menschen liegt sprichwörtlich „der Hund begraben“. Im Folgenden versuche ich die Trainingssituation in die wir da hineingeraten sind, aus unserem menschlichen Blickwinkel zu analysieren:

Strafe oder Schreckreize können ein unerwünschtes Verhalten sofort unterbrechen. Der Effekt ist sofort erkennbar und wirkt selbstbelohnend auf den Menschen, der sich über das Verhalten seines Tieres geärgert hat. Er hat seinem Ärger Luft gemacht und fühlt nun eine Erleichterung, die sein Belohnungssystem aktiviert. Die Hundehalter, die ihre Hunde mit einem „Nein“ korrigierten oder aber der Typ, der seinen Hund vielleicht sogar auf den Rücken legte, fühlten sich garantiert besser, als Hundehalter in ähnlichen Situationen, die sich für eine Ausbildung mit positivem Training entschieden haben. Die Möglichkeiten, angemessen zu reagieren, müssen von uns erst einmal mühsam erarbeitet werden, sind also nicht so schnell parat, wie ein „Nein“ oder eine „Korrektur“ über die Leine. Das haben wir Menschen reflexiv im Repertoire und man fühlt sich auch noch gut dabei, weil man seinem Ärger Luft machen kann.
Die Risiken und Nebenwirkungen erkennen die ahnungslosen Besitzer leider viel zu spät oder im Fall von „erlernter Hilflosigkeit“ nie. Der depressive oder in erlernter Hilflosigkeit erstarrte Hund wird als brav empfunden. Aversives Training (Strafe, Entzug) entspricht unseren Denkmustern, belohnungsorientiertes Training nicht. Unsere menschliche Wahrnehmung ist eher auf das Vorhandensein einer Sache bzw. eines Verhaltens ausgerichtet. Wir nehmen also einen Hund, der Spaziergänger verbellt, an der Leine zieht oder Wild hinterherjagt eher wahr, als einen Hund, der sich für uns angenehm verhält. Wir reagieren also in der Regel erst auf unsere Tiere, wenn sie etwas tun, was uns nicht gefällt. Ein belohnungs- und bedürfnisorientiertes Training setzt aber genau andersherum an: wir konzentrieren uns auf das Verhalten, was uns nicht verärgert. Das ist nicht nur sehr kompliziert zu erlernen, es fühlt sich für uns Menschen zunächst auch sehr ungewohnt an, weil wir gegen die Arbeitsweise unseres eigenen Gehirns arbeiten müssen. Wir Menschen lieben aber Gewohnheiten, weil sie selbst belohnend sind und wir uns gut dabei fühlen. Menschen fühlen sich also bei aversiven Trainern zunächst sehr viel wohler, als bei „positiven“. Insbesondere dann, wenn die Strafen subtil sind oder eher als niedrigschwellig wahrgenommen werden („Nein“, Schimpfen, Leinenkorrektur, Wasserpistole, Hilfsmittel, wie spezielle Halsbänder und der Beziehungskiller der sog. „körpersprachlichen Führung“ etc.).

Wir Menschen gehen auf ein Ziel, egal ob Mensch, Tier oder Objekt geradewegs zu. Hunde nähern sich einem Menschen und Artgenossen eher seitlich, mit weichen Bewegungen, wenn sie freundlich gestimmt sind. Eine schnelle, direkte Annäherung mit sehr viel Körperspannung bedeutet „Angriff“. Das kann man sehr schön beobachten, wenn man gemeinsam mit Hund unterwegs ist und anderen Menschen mit ihren Hunden begegnet. Die Mensch-Hund-Teams, die nie ein entsprechendes Training genossen haben, gehen einfach geradewegs aufeinander zu, ohne das Tempo zu verlangsamen oder aber einen Bogen zu laufen bzw. „zu pendeln“, was den Hunden in den jeweiligen Teams wesentlich angenehmer wäre. Hunde die dann pöbeln, werden in der Regel, meistens durch die Leine, korrigiert. Der vorbeilaufende Mensch raunt dem anderen noch zu „das machte er nur an der Leine“. Leinenaggression ist auch ein menschengemachtes Problem. Im Übrigen der häufigste Grund für ratlose Hundehalter, einen Verhaltenstherapeuten zu kontaktieren.
Viele Hundehalter umgehen das Problem dann einfach, indem sie ihre Hunde gar nicht mehr anleinen und ungebremst auf angeleinte Artgenossen loslassen, während sie uns zurufen „Der tut nix“ . Leider hat „Tut nix“ nie gelernt, wie er freundlich anderen Hunden begegnet oder was man sonst noch so tun kann.

Der Trainingsaufbau der Hundeschule auf dem Waldweg machte es dem kleinen Dackel unmöglich, sich in weichen Bewegungen auf die anderen Hunde zuzubewegen. Sie flankierten von beiden Seiten das Mensch-Hund-Team. Der kleine verängstigte Hund hatte gar keine andere Wahl, als verspannt und gerade durch dieses Spalier hindurchzulaufen. Der Trainingsaufbau, ob nun bewusst oder unbewusst arrangiert, kam der Hundehalterin hingegen sehr entgegen. Sie konnte sich schnell ihrem Ziel nähern, womit sie sich garantiert besser gefühlt hat, als in einem indirekten Training, in dem sie sich zunächst einmal gegen ihren Boss im Kopf hätte verhalten müssen. Sie hat ihr Trainingsziel erreicht und das fühlt sich verdammt gut an, weil „brave“ Hunde gesellschaftlich erwartet werden. Im Gehirn des kleinen Dackels hingegen werden seine Emotionen in Verbindung mit seinem verspannten Körper in Gegenwart der anderen Hunde abgespeichert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der junge Hund außerhalb der Hundeschule gelassen an der Leine auf andere Hunde reagiert, sinkt mit jeder Trainingseinheit.
Hunde, die später souverän und vor allem selbständig an der Leine reagieren, ohne ständig mit einem Kommando („Nein“, „Fuß“) an anderen Menschen oder Hunden vorbeigelotst werden müssen, haben einen Trainingsaufbau genossen, der ihnen und nicht ihren Menschen entspricht. Diese hervorragend ausgebildeten Mensch-Hund Teams werden von der Gesellschaft kaum wahrgenommen, weil sie ja keinen stören.
Mein Highlight am nächsten Tag war ein Mountainbiker, der sich bei mir ausdrücklich bedankte, als er an mir und meinen beiden Fellnasen vorbeifuhr. Die Hunde hatten sich sofort zu mir umorientiert und an meiner Seite einsortiert, als sie ihn sahen. Selbständig, ohne jegliches Kommando. Ich brauche nicht mehr die Umwelt nach Auslösern, wie Joggern oder Radfahrern abzuscannen. Niemand kann seinen Hund in jeder Situation lückenlos kontrollieren. Positives Training lohnt sich langfristig! Insbesondere für Blue war das ein langer Ausbildungsweg, da er in Sekundenbruchteilen auf Bewegungsreize reagiert und eine sehr niedrige Reizschwelle hat. In erster Linie, weil ich mich selbst enorm verbessern musste, um einem großartigen Hund wie ihm gerecht werden zu können. Ich habe mich sehr gefreut über dieses nette Dankeschön. Ich bin ja auch nur ein Mensch!
Zum Thema Leinenaggression und Leinenführigkeit findet Ihr im Folgenden einen Überblick über hundefreundliche Methoden. Ich persönlich schätze sie alle. In meiner Arbeit und im Alltag mit meinen eigenen Hunden finden sich Elemente aus allen Ansätzen wieder:
Die älteste Ausgabe stammt von Turid Rugaas (Calming Signals). Turid ist für mich nach wie vor die Expertin für einfache Methoden und Ideen im Zusammenleben von Hund und Mensch. Die Grundlage für ihre Trainingsmethode war ihre Projektarbeit während eines Trainerkurses an der Groruddalen Veterinärklinik, außerhalb von Oslo:
Sabrina Reichel ist es mit „Leinenrambo“ in einem schmalen Heftchen gelungen, die komplexen Inhalte der Cumcane Trainerausbildung zum Thema zusammenzufassen. Viele Zeichnungen und Bilder veranschaulichen die Theorie und die einzelnen Schritte. Hundehalter ohne Vorkenntnisse und Unterstützung eines Cumcane Trainers werden wohl dennoch Schwierigkeiten haben, die Methoden anzuwenden.
Passend zum Buch gibt es auch ein Trainingstagebuch:
In meinen Artikeln habe ich bereits mehrfach die Bücher von Katrien Lismont vorgeschlagen. Ihrem Buch „Hund trifft Hund“ habe ich einen kompletten Artikel gewidmet:
Last but not least gibt es gibt es Grisha Stewarts Behavour Adjustment Training 2.0 endlich auch in deutscher Sprache. Allerdings nur als Kindle: