Der Braunbrustigel - Wildtier des Jahres 2024
Der Igel ist das Wildtier des Jahres 2024. Er wurde von der Deutschen Wildtierstiftung gewählt, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Bestände eines der ältesten Säugetiere der Erde stetig abnehmen. Es fällt den bei uns heimischen Braunbrustigeln, wie allen Insektenfressern in unseren aufgeräumten Agrarlandschaften und Gärten immer schwerer Nahrung und geeignete Verstecke zu finden. Vielen Igeln wird außerdem ihr natürliches Abwehrverhalten, sich bei Gefahr einzurollen und nicht wegzulaufen zum Verhängnis. Ihr Stachelkleid schützt sie nicht vor Autos und modernen Gartengeräten wie Mährobotern, Rasentrimmern, Freischneidern, Laubbläsern etc.
2024 - mein ganz persönliches Igeljahr
Das Jahr 2024 wurde auch zu meinem ganz persönlichen Igeljahr. Seit fast 2 Jahrzehnten freuen wir uns, dass auch Igel sich in unserem Garten wohlfühlen Es gab über die Jahre immer wieder Begegnungen mit unseren Hunden, wenn die nachtaktiven Tiere im Garten unterwegs waren. Unsere Hunde reagierten mit Pendelbewegungen auf die Igel, ein Wechsel zwischen Neugier und Unsicherheit. Dieses Verhalten zeigen sie auch bei Begegnungen mit Schildkröten, wenn wir im Süden unterwegs sind. Einmal hatte sich ein erwachsener Igel sein Tagesnest unmittelbar unter der Hecke neben unserer Terrasse angelegt. Dort verschlief er den heißen Tag. Ohne unsere Hunde hätte ich ihn gar nicht bemerkt.
Spuren und Zeichen
Ich fand regelmäßig ihren fast schwarzen Kot in unserem Garten. Die Farbe und die fast krümelige Konsistenz weisen darauf hin, dass der Igel reichlich Insekten gefunden und vertilgt hatte. Die Chitinpanzer der Insekten werden zum Teil zerkleinert wieder ausgeschieden. Sie sind wichtig für ein intaktes Verdauungssystem des Igels. In unserem Rasen wunderte ich mich lange über kleine Löcher, bis ich einen Igel dabei beobachten konnte, wie er mit seiner rüsselartigen Schnauze dort nach Nahrung suchte. Igel sind nachtaktive Einzelgänger, die nur zur Paarung zusammenfinden.
Stachelige Einzelgänger auf Nahrungssuche
Igel sind relativ standorttreu, verteidigen ihre Territorien jedoch nicht gegen Artgenossen. Die stacheligen Säugetiere ernähren sich überwiegend von bodenlebenden Wirbellosen wie Insekten, Regenwürmern, Spinnen etc. Schnecken fressen sie nicht besonders gerne. Zur Nahrungssuche legen Igel täglich zwischen 3 und 5 km auf ihren kurzen Beinen zurück. Beobachtet man Igel an Fallobst, so suchen sie im Inneren eher nach Maden, als dass sie das Obst fressen.
Nur während der Paarungszeit zwischen Mai und August finden Igel zusammen. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit von 31 bis 36 Tagen durchnittlich 4 -5 Junge zur Welt. Die Jungen werden als Nesthocker 6 Wochen lang gesäugt und beginnen dann ihr eigenes Leben als Einzelgänger, bis sie nach einem Jahr selbst geschlechtsreif werden und auf Partnersuche gehen.
Ein Igelnest in unserem Garten
Auch in unserem Garten hatte eine Igelin ein Nest, geschützt unter einer kleinen Trockenmauer angelegt. Ganz früh am Morgen Anfang August saß ich mit einer Tasse Kaffee auf der Terrasse und beobachtet wie die Hunde, wie jeden Morgen durch den Garten stromerten und schnüffelnd erkundeten, wer dort nachts unterwegs gewesen war. Ich ging kurz in Haus und schenkte mir eine zweite Tasse Kaffee ein. Als ich wieder auf die Terrasse kam, sah ich Naish mit einem komischen runden Ball voller Moos auf der Wiese. Ich erkannte erst als ich näher kam, dass es ein eingerollter erwachsener Igel war, der auf unserem Rasen lag. Aus dem Blickwinkel entdeckte ich Blue, der an der Trockenmauer buddelte. Ganz langsam dämmerte mir, dass die beiden ein Nest gefunden hatten. Ich holte die Hunde ins Haus und sicherte zunächst die Igelin in einem Karton. Tatsächlich fand ich ein Nest mit drei quicklebendigen kleinen Igelkindern. Ihre Augen waren noch geschlossen. Die Stacheln butterweich. Ich ließ die Hunde nochmals kontrolliert die Umgebung absuchen. Naish brachte mir vorsichtig ein bereits kaltes, schwaches Igelkind. Wahrscheinlich hatte sich dieses Baby schon vorher außerhalb des Nestes befunden und die Hunde angelockt. Es war viel kleiner als die anderen. Das Nest war zerstört und nun? Ich kontaktierte einen Experten für Wildtiere, der mich bat, die Igelfamilie nicht mehr zurückzusetzen, da nicht garantiert sei, dass die Mutter die Kleinen nach dem Schock noch annehmen würde. Das Baby brachte ich umgehend in eine Wildtierstation. Es verstarb leider kurze Zeit später.
Rettungsaktion
Die Igelin säugte die Kleinen auch nach mehreren Stunden nicht. Sie fraß auch nicht. Ich musste handeln. Ich suchte im Netz und fand eine ehrenamtliche „Igelmama“, die sich sofort bereit erklärte, die kleine Familie aufzunehmen und die Kleinen im Notfall zu päppeln. Glücklicherweise begann die Igelmama dann doch noch am späten Abend ihre Kleinen auf der Station zu säugen. Die Igelexpertin konnte das leise Schmatzen der Kleinen im Igelhaus hören. Das Katzentrockenfutter und die Soldatenfliegenlarven rührte die Igelin jedoch zunächst nicht an. Ich konnte sie so gut verstehen. Sie kannte das Futter nicht, war in einem kleinen Gehege eingesperrt, roch als Einzelgängerin viele andere Artgenossen, die Zuflucht in der Station gefunden hatten. Wie sehr vermisste sie wohl ihre gewohnte Umgebung, die frische Luft, ihr bekanntes Futter, die langen Wanderungen, die sie zurücklegte, um Nahrung zu finden?
Die Kleinen entwickelten sich innerhalb der nächsten 4 Wochen prächtig. So konnten sie nach 4 Wochen zu uns zur Auswilderung zurückkehren. Wir hatten ein entsprechendes ausbruchsicheres Gehege mit Schlafhäusern und einem Futterhaus in unserem Gemüsegarten vorbereitet, in dem die Igelfamilie noch weitere 2 Wochen verbringen sollte, bis die Kleinen im Alter von 6 Wochen selbständig sein würden. Das Gehege säuberte ich täglich. Den Boden streute ich mit trockenen Blättern von Obstbäumen und Moos aus der Umgebung ein, damit sie sich bereits an natürliches Nistmaterial und Gerüche gewöhnen konnten. Bald waren die Igelkinder so groß, dass ich sie kaum noch von der Mama unterscheiden konnte. In Freiheit würden sie zunächst Gewicht verlieren, da sie sich viel mehr bewegen würden auf ihrer Futtersuche.
Die Auswilderung
Als wir an einem warmen Abend Mitte September das Gehege an einer Seite öffneten, fanden alle Igel schnell das Tor zur Freiheit. Eine Woche lang suchten sie noch die Futterstelle auf, fraßen aber immer weniger von dem hochwertigen Kittentrockenfutter, bis sie ganz ausblieben. Kein Fertigfutter und auch nicht die Soldatenfliegenlarven können die natürliche Nahrung von Igeln ersetzen.
Nun ist es bereits Mitte Oktober und ich hoffe, dass die Kleinen noch genügend Gewicht aufbauen konnten und einen geeigneten Platz für den Winterschlaf finden werden. Ihre Mama kennt sich hier ja bestens aus. Sie muss das Gewicht, das sie durch die Aufzucht der Jungen verloren hatte wieder aufbauen, bevor dann auch sie sich spätestens Mitte November in ihr Winterversteck zurückziehen wird. Ihre erwachsenen männlichen Artgenossen begeben sich bereits jetzt, Mitte Oktober in den Winterschlaf. Dort werden sie ihre Körperfunktionen auf ein Minimum herunterfahren und von ihren Fettpolstern zehren. Dennoch werden sie 20 bis 40 % ihres Gewichtes bis zum Frühjahr verloren haben. Nach dem Aufwachen sind Igel daher dringend auf eine intakte Umgebung mit ausreichend Nahrungsangeboten angewiesen. Immer mehr Igel geraten in Not. Die Auffangstationen sind bereits im Sommer mit hilfsbedürftigen, verletzten oder verwaisten Igeln überfüllt.
Die Igel waren durch uns in Not geraten. Ich hoffe, dass wir ihnen mit vielen naturnahen Gartenbereichen weiterhin einen kleinen Fleck Erde als Zuflucht werden bieten können. Der Auswilderungsbereich bleibt dauerhaft in unseren Gemüsegarten integriert und kann auch zukünftig hilfsbedürftigen Stachlern übergangsweise ein Zuhause bieten.
Igelmedizin
Die Igel kamen zu einer Zeit in mein Leben, in denen ich mit meiner offenen und lösungsorientierten Art auf große Ablehnung stieß. Meine Tendenz, in Konflikten eher zu deeskalieren und anderen Menschen die Möglichkeit zu gewähren, ihr Gesicht zu wahren und zu kooperieren, wurde anscheinend als Schwäche interpretiert. Die Igel haben mich mit ihrem Verhalten zum Nachdenken gebracht und gelehrt, dass es bei Menschen, die nie gelernt haben, Konflikte konstruktiv zu lösen, durchaus geschickter sein kann, wenn man ihnen frühzeitig seine Stacheln zeigt, sich schnell distanziert und „einigelt“.