Ein kleiner Retriever wird groß

Unser Golden Retriever Naish („Näsch“, benannt nach dem einzigartigen Surfer Robby Naish) zeigte bereits mit 8 Wochen eine hohe Motivation, zu apportieren. Mir war schnell klar, dass dieser großartige kleine Mann entsprechende Stimulation benötigte. Der Kleine sollte von Anfang an Freude an der Dummyarbeit und der Kooperation mit mir haben. Das Risiko von Frustration wollte ich möglichst ausschließen.

Ich habe daher nicht, wie meist üblich, mit dem Ausgeben von Gegenständen begonnen, sondern zunächst das Tragen gefördert. Es mussten also Objekte her, die der kleine Golden Retriever interessant genug fand, um sie festzuhalten und lange genug herumzutragen. Das Heranbringen und Ausgeben habe ich bei ihm als er klein war zunächst nicht mit Futter verstärkt, sondern gegen Spiel und Spaß mit einem anderen Objekt getauscht. Futter steigerte damals sein Erregungslevel zu stark. Unsere liebsten Spielzeuge waren hier (wieder einmal) die Produkte von Herz und Hund.

Ich hätte mir eine erfahrene Trainer:in an unserer Seite gewünscht. Leider habe ich bisher niemanden, der meinen Vorstellungen entsprach, in fahrbarer Nähe gefunden. Idealerweise würde ich gerne mit einer IBH Dummytrainer:in zusammenarbeiten.

So habe ich viel beobachtet, ausprobiert und mich mit Büchern und Webinaren weitergebildet. Am besten hat mir das Webinar „Apport“ von Ines Scheuer Dinger gefallen. Mit ihren Tipps habe ich den Dummy, den er von seinen Züchtern mitbekommen hat, interessant gemacht. Arbeitsmaterial ist nicht so attraktiv wie Spielzeug und wird daher nicht so schnell zweckentfremdet, wird aber von manchen Hunden nicht sofort gerne aufgenommen und zurückgebracht. Ich arbeite heute noch mit diesem Welpendummy, der rein optisch gar nicht mehr zu unserem fast ausgewachsenen Naish passt. Er ist aber entsprechend leicht und schont seine Halswirbelsäule.

Naish zeigte von klein auf ein sehr großes Interesse an Wasservögeln. Auf unserer Wohnmobiltour durch Dänemark hatte er täglich Gelegenheit viele Arten von Wasservögeln zu beobachten. Ich habe früh das Beobachten markiert und belohnt, damit sich aus dem Interesse später kein unkontrolliertes Jagdverhalten entwickelt.

Das Apportieren bekam dann noch einmal eine ganz neue Dimension, als ich zum ersten Mal einen Gegenstand ins Wasser warf. Es war plötzlich sonnenklar, dass unser Naish fürs Apportieren aus dem Wasser geboren wurde und, dass das von nun an sein Lieblingshobby sein würde. Naish taucht sogar nach Gegenständen, die untergehen. Genauso wie seine Mama Helmi. Diese Verhaltensmuster sind für Naish selbstbelohnend.

Sein schönstes Weihnachtsgeschenk war eine schwimmfähige Ente für das Dummytraining im Wasser, die wir sofort bei meinem ersten misslungenen Wurf ins Fließwasser verloren hätten, wenn Naish nicht so verdammt talentiert und motiviert gewesen wäre.

Ein motivierter Hund bringt eine entsprechend erhöhte Anspannung und Erregung mit. Das Wichtigste für mich ist bei einem jungen Hund daher nicht die korrekte Ausführung einer Aufgabe, sondern vielmehr ein ausgewogenes Hoch- und Runterfahren des Erregungslevels.

Naish sucht konzentriert in der Rinde der alten Weide nach Leckerchen. Das ist für ihn ein ideales Spiel zum Warm up vor der Arbeit und zum Runterfahren der Erregung nach dem Apportieren

Vor allem vor dem Hintergrund, dass diese Erregungskurve während der Pubertät und der sich daran anschließenden Adoleszenz, insbesondere bei jungen Rüden, noch einmal signifikant ansteigt. Während dieser Zeit haben junge Rüden einen stark erhöhten Testosteronspiegel. Dieser ist deutlich höher als später im Erwachsenenalter. Testosteron bewirkt, dass Reaktionen sehr schnell, stark und lang anhaltend erfolgen. Ein heranwachsender Rüde regt sich häufiger, heftiger und länger andauernd auf als seine erwachsenen Artgenossen.

Der zusätzliche Stress, der durch die Anwesenheit von Hündinnen und anderen männlichen und als Konkurrenten wahrgenommenen Artgenossen, entsteht, kurbelt die Testosteronproduktion noch weiter an. Ich gehe daher nach wie vor mit Blue und Naish in unserem Hundewald meistens getrennt spazieren und diese Mühe hat sich absolut gelohnt. Die beiden mögen sich sehr und genießen ihre gemeinsame Zeit (Anmerkung: Blue ist mittlerweile 5,5 Jahre alt und nach wir vor unkastriert).

Naish wird in ein paar Tagen ein Jahr alt und steckt nun schon eine Weile mitten in der Jugendentwicklung. Je nachdem wo wir unterwegs sind, insbesondere in Gebieten, wo viele Hündinnen unterwegs sind, ist er häufig sehr aufgeregt und untersucht ausgiebig die Hinterlassenschaften von Artgenossen. Dann zieht er auch vermehrt an der Leine. Mittlerweile gelingt es uns beiden jedoch immer häufiger, auch mit lockerer Leine unterwegs zu sein. Hier fällt es Naish deutlich leichter neben mir „bei Fuß“ zu laufen, als vor mir. Das finde ich extrem spannend. Vermutlich liegt auch das in seinen Genen.

Wir passen unseren Tagesablauf und die Orte, die wir aufsuchen einfach an seine Befindlichkeiten an. Die einfachste Managementmaßnahme ist immer noch, keine Gelegenheit für blödes Verhalten zu bieten und stattdessen gutes Verhalten zu ermöglichen. Das zahlt sich erst sehr viel später aus, ist aber extrem effektiv. Naish darf an sicheren Orten seinen Bewegungsdrang nach Herzenslust im Freilauf ausleben. Er liebt es, mit Höchstgeschwindigkeit zu rennen, am liebsten gemeinsam mit Blue. Beim Apportieren im Wasser ist er dennoch nach wie vor voll konzentriert, egal, wie groß die Ablenkungen auch sein mögen. Mittlerweile zeigt er diese Konzentration auch wieder beim Apport im Gelände. Man kann sich darauf verlassen, dass er alles zuverlässig und auf direktem Weg zurückbringt. Das musste ihm niemand zeigen. Das liegt ihm im Blut.

Die Ausgabe in die Hand ist in solchen Gebieten manchmal schwieriger, weil sein großer Arbeitswille alleine schon ein gewisses Erregungslevel mit sich bringt und die Umwelt dieses mitunter noch zusätzlich steigert. Das bringt eine gewisse körperliche Anspannung mit sich, die beim Apport zu Verspannungen im Nacken und Maul führen kann. Gerade in dieser Lebensphase, in der die Hunde noch sehr stressempfindlich sind, kann es passieren, dass sie nicht mehr zuverlässig den Apport mit Vorsitz in die Hand ausführen und den Gegenstand früher ausspucken – weil sie sich einfach unkomfortabel fühlen und/oder sich Trainingsfehler eingeschlichen haben. Wir arbeiten daher nach wie vor mit leichten Gegenständen und üben die Ausgabe spielerisch, wann immer das Setting es möglich macht.

Die Pubertät muss kein Schreckgespenst sein, wenn man bereit ist, sich auf die Befindlichkeiten der heranwachsenden Hunde einzustellen. Man muss häufig nur die passende Umgebung bieten, in denen unsere Fellnasen in der Lage sind mit uns zu kooperieren und ihr liebstes Hobby als Talent wahrnehmen und fördern. Nach drei Hütehunden mit einem ausgesprochen großen Talent für das Hetzen von sich bewegenden Objekten ist das Apportieren für mich völliges Neuland. So wachsen wir gemeinsam:)